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Franz Kafka begleitet mich schon ein Leben lang: Währen des Abiturs, später stets griffbereit die Bücher. Seit den frühen Nullerjahren dann ein Highlight: die dreibändige Biografie von Reiner Stach. Zuletzt das 2024 von Hans-Gerd Koch herausgegebene „Kafkas Familie – Ein Fotoalbum“. Optik, die Kafka gewöhnlich abbildet, verwertet Fotographien, welche ihn in gelinde gesagt ernster Pose abgelichtet vorfinden wollen. Bei näherer Betrachtung dieser Bilder wird eine Person erkennbar, die sich dem Einfluss seiner Umgebung, weiteren Personen, nicht entziehen kann. Dieser Einfluss findet dann in Kafkas Erscheinungsbild einen mehr oder weniger deutlichen Ausdruck: Eine zur Schau gestellte Souveränität, die in diesen Schnappschuss-Situationen nur keine authentische Souveränität ist, sondern eine tief im Menschen verborgene Traurigkeit zum Vorschein bringt, die vom Gezeichneten mit gespielten Freundlichkeitsgesten mühsam verdeckt werden muss.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Dieses Bonmot von Adorno kann auch auf die Fotographien Kafkas angewendet werden: Das Bild, welches ihr von mir habt, ist ein Zerrbild. Wie ich wirklich bin, wie ich wirklich fühle, das ahnt ihr noch nicht einmal.

Kein singuläres Phänomen, ein aktuelles Beispiel aus Fernsehbildern: Wer den letzten Tatort gesehen hat, sollte am Drehbuchautor Sascha Arango nicht vorbeischauen – von ihm stammt u.a. die Aussage: Ein Mann von meinem Selbstbewusstsein und mit meinem Hang zur Angeberei – dem würde man nie glauben, dass der furchtbare Angst hat.

Mit Dora Diamant erlebte Kafka vor seinem Tod die glücklichsten Momente. Hätten Fotographien diese Momente eingefangen, wir würden einen Kafka sehen, den die Welt zuvor nicht sehen konnte, weil seine Welt es auch nicht sehen wollte, denn in dieser Welt wurde er schlicht übersehen. Die diamantene Wahrnehmung und Zuwendung gewannen authentische Abbilder von Franz Kafka, keine Abziehbilder.

Zu früh verstarb Kafka an einer zu seiner Zeit noch tödlich verlaufenden Tuberkuloseinfektion. Das Immunsystem ist lebenswichtig. Es schützt den Körper vor Schadstoffen und krankmachenden Lebensumständen. Davon verursachter und unzureichender Schlaf trägt dann die natürlichen menschlichen Abwehrkräfte auf ein Verfalls-Level 2.0. Schlechter, Rapid Eye Movement armer Schlaf ermöglicht immerhin „gute“ nächtliche Traumbotschaften.

So erzählen Kafkas Schriften absurde, fantasievolle, verzerrte, sprichwörtlich kafkaeske Realitätswelten, beziehungsweise narrative Traumgebilde. Die Entstehung verdanken wir, nicht verwunderlich dem biographischen Kontext.

Wer ein Leben voller Belastungen und Ängste führen muss, flüchtet in Traumwelten. Ist dieser Mensch noch so frei, das seiner Umgebung mitzuteilen, sollte dieser nicht als wahrnehmungsgestört, als Alters-Scholastiker oder was auch immer charakterisiert werden, als Folge auch nicht in einen verminderten Augenschein genommen werden.