Ein interessantes älteres Interview mit dem Vogelexperten Karl Schulze-Hagen über die Geschichte der Ornithologie gelesen – darin die Aussage, traurigstes Beispiel von Naturzerstörung, hier Vogelsterben, sei der Artentod der Wandertaube gewesen: „Um 1865 war sie mit etwa vier Milliarden Exemplaren noch die zahlenreichste Vogelart der Welt. Innerhalb von 50 Jahren ging der Bestand auf null herunter. Ausgerottet. Das muss man erst mal hinkriegen.“

Das hat mich zum Buch „Der Wanderfalke“ von J.A.Baker greifen lassen, welches wiederum der Filmregisseur Werner Herzog in seiner Autobiographie „Jeder für sich und Gott gegen alle“ als die schönste Prosa, der er je gelesen habe, bezeichnet hat. Hier ein Auszug aus dem „Wanderfalken“:

„Um von einem Wanderfalken erkannt und akzeptiert zu werden, muss man stets dieselbe Kleidung tragen, denselben Weg gehen, in seinen Bewegungen dieselbe Abfolge beibehalten. Wie alle Vögel fürchtet er das Unvorhersehbare. Am besten betritt und verlässt man jeden Tag zur selben Zeit dieselben Felder und beschwichtigt das Wilde im Falken mit Verhaltensritualen, die ebenso unveränderlich sind wie seine.

Man verbirgt den Schimmer der Augen, verhüllt das weiße Zucken der Hände, bedeckt das nackte, glänzende Gesicht und wird still wie ein Baum. Ein Wanderfalke fürchtet nichts, das klar erkennbar und weit von ihm entfernt ist. Am besten man nähert sich ihm über offenes Gelände in steter, immer gleicher Bewegung. Man lässt seine Silhouette wachsen, ohne die Konturen zu ändern. Ein Versteck nutzt man nur, wenn es perfekt ist.

Man geht allein. Auffälliges Menschentum sollte man beschränken, die feindseligen Augen der Bauerhöfe meiden. Man muss lernen, zu fürchten. Gemeinsam etwas zu fürchten, ist das stärkste Band, das es gibt. Der Jäger muss das werden, was er jagt. Das, was ist, der gegenwärtige Moment, muss die bebende Stärke des in den Baum bohrenden Pfeils haben. Gestern ist matt und monochrom. Vor einer Woche waren wir noch nicht einmal geboren. Ausharren, aushalten, folgen, sehen.“

J.A. Baker, Der Wanderfalke