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Kennt jemand den Namen Helmuth Plessner? Halt! Schreiben, auch Lesen ist ein einsames Anliegen, Ablenkungen nicht desto Trotz. Ich beginne den Text zu schreiben und höre nebenbei das „Zeitzeichen“ im Radio. Thema ist dort der 150. Geburtstag von Thomas Mann.
Thomas Mann-Rezensent Heinrich Breloer hat einen Roman mit dem Titel „Ein tadelloses Glück“ über den jungen und heiratswilligen Thomas Mann geschrieben. Der Buchtitel ist ein Beispiel von einer Gedankentiefe, welche sich in der deutschen Sprache entfalten kann, ähnlich „tief wie der Brunnen der Vergangenheit ist“ (T.M.). Thomas Mann hatte homoerotische Neigungen, wollte sich aber mit einer damals amtlichen Heirat von Stand, seine Auserwählte war Katia Pringsheim, „eine bürgerliche Form“ (T.M.) sichern. Ja, das ließ ein Maß an menschlichem Übergriff befürchten. Bestenfalls auf ein Eheglück in Disharmonie. Und Breloer nennt das ein, „Ein tadelloses Glück“? Als perfektes Glück verstanden? Nein. Aber als Glück ohne Tadel!!
Helmuth Plessner, war ein Zeitgenosse von Thomas Mann, 17 Jahre später geboren, 92-jährig verstorben. Gewisse regelmäßige Botenmeisterleser werden jetzt einen Kalenderrechner hervorholen. Von der Datumsanzeige zum Zollstock: Ich schätze die Reclam Bücherreihe Was bedeutet das alles – nie mehr als 100 Seiten im DIN A6 Format. Lehrergerecht, deshalb bar, zumindest mangelhaft jeglicher Korrekturfähigkeiten, sind das exakt 105 bzw. 148 mm. Es sind formal schmale, inhaltlich reiche Lesehefte für die Hosentasche, bequem auch für unterwegs und als Alternative zum Smartphone, bruchsicher, ähnlich groß und stets verfügbar in einer Pro Version, nicht nach Größe aber Großartigkeit.
Die jetzt vom Reclam Verlag (wieder)veröffentlichten zwei Essays des philosophischen Anthropologen Helmuth Plessner über Unmenschlichkeit und Menschenverachtung sind einer Publikation aus dem Jahre 1952 und Folgejahre entnommen. Die Parallelen zu unserer Gegenwart sind unübersehbar: „Mir scheint, die Frage des sozialen Zynismus, des Menschenhasses und der Menschenverachtung ist von äußerster Dringlichkeit.“ (H.P.)
Laut Plessner schlägt sich der Menschenhass und die Menschenverachtung vor allem da nieder, wo man seinem Gegenüber nicht vis à vis begegnet und nicht direkt ins Angesicht schauen muss. Man kultiviert seine negativen Gefühle, den Hass und die Gänsehaut Erregung auf abstrakte, gesichtslose Art und Weise. Fremdenhass da, wo Fremde wenig oder gar nicht persönlich in Erscheinung treten. Wut und Ärger über eine störende Lärmnachbarschaft da, wo eine Wand eine gesichtslose Ferne schafft. Die entstandene Abstraktion ist für’s negative Stimmungsbild wirkungsmächtiger als der zwischenmenschlich unmittelbare Kontakt.
In den sozialen Medien – Gänseschnatter Tool twitter heißt jetzt schlicht sowie bezugslos X wie unbekannt, Masken, Musk gerecht – in den asozialen Medien wird um sich geschlagen, eine physische Gegenwehr schlägt ja nicht zurück. Gratismut auf der WLAN Flatrate Judomatte. Verbitterung gedeiht wie Unkraut, wo der hautferne, dennoch Brennnessel gleiche Umgang zwischen den Individuen weder eine Schamröte noch signifikante Gehirnschwellungen der unterschiedlichsten Art hervorruft, weil ja der Abfluss der gallischen Wut Säfte nur eine Fließrichtung kennt, den Hinterausgang.
Nicht nur das Internet ist von zunehmender Gesichtslosigkeit gekennzeichnet. Dorfgemeinschaften werden weniger, Verstädterung nimmt zu, wo die Menschen achtlos aneinander vorbeischreiten. Die maskenstarre Gesichtslosigkeit bringt auf vielfältige Weise die verschiedenen billigen Varianten der Missachtungen des Menschen hervor, auch die, der angesichts der Ansichtslosigkeit wachsenden bürokratischen Staats- und Verwaltungsapparate. Diese in absehbarer 2.0-Zeit digitalisiert per KI.