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Alle zwei Wochen ein gleiches Ritual: Ich stehe morgens auf, Gang in die Küche, Einhalt vor der 500-Gramm-Kaffeepackung: Vakuumverpackt, handwerkliche Sicherheit im Halbschlaf sollte garantiert sein, die Verpackung frisch bis zuletzt, wenn auch selbst im Zustand verminderter Frische. Greife beherzt zum „Was-auch-immer-scharf“. Doch kaum ist die Folie durchtrennt, beginnt das klassische Geriesel: Der Kaffee krümelt dahin, wo er nicht soll. Trotz größter Obacht und verzweifeltem Festhalten entkommen fiese, kleine Kaffeepartikel in ärgerlichen Maaßen. Das nervt.
Folgender Nebengedanke tut sich auf, jener, es sei nicht zu unterschätzen, dass der Erfolg von Apple High Tech Produkten in nicht unwesentlichem Maaßen auch vom Spaß und der Freude beim Auspacken und vom ersten Anblick rührt. Mein Blick jedoch sieht nur braun verstaubte Anrichten und den bestreuten Küchenboden. Okay, Kaffee ist nicht High Tech, aber doch immerhin morgendlicher High Food. Der nächste Gedanke: Den Kaffeeanbietern ist Kundenzufriedenheit seit über 60 Jahren egal, Veränderungs- und Verbesserungswillen einerlei, sch…egal. Hauptsache Made in Germany, aber vermehrt mehr Schein als Sein.
Das Ritual ist vertraut, das Ergebnis immer dasselbe. Und so könnte diese anfangs dichte, später verunglückte Packung Kaffeepulver zum Sinnbild unserer Zeit im Lande draußen werden.
Während die Welt voranschreitet, sich neue Technologien und Dienstleistungen allenthalben auftun, bleibt in Sachen Zuverlässigkeit hierzulande alles beim Alten. Oder besser gesagt: beim Schiefgehen. Es ist, als hätte man die Verpackungsindustrie zum stabilsten System erklärt, das keiner verändern darf – obwohl sich jeder wünscht, es wird peu à peu ein bisschen weniger krümelig. Das geht aber nicht. So wie die Kaffeekrümel ihre Freiheit suchen, ziehen auch die Mängel im Gesundheitssystem, Nahverkehr und der Post, beim Bau ihre Bahnen.
Beispiel Gesundheitswesen. Mehr Warteschleifen zwischen Terminen als Kaffeekrümel auf dem Küchentisch. Eigene Zähne knirschen wie Sand im Getriebe und man akzeptiert so mit schiefer Schnute Wartezeiten, fehlende Termine und bürokratische Hürden, die einem das Gefühl geben, man sitze fest in Endlosschleifen. Der Nahverkehr: Um genau zu sein, ein Vorbild darin, wie man aus ein paar Krümeln ein großes Chaos machen kann. Züge fallen aus, Verspätungen summieren sich wie Kaffeereste in der Packung, kaputte Ampeln und Baustellen sorgen für den täglichen Nervenkitzel – alles systemimmanent und selbstverständlich chronisch.
Veränderungen – nein, danke. Man will nichts riskieren und das Alte lieber im trostlosen Modus beibehalten. So wie es beim Öffnen der Kaffeeverpackung ein kleines Ärgernis ist, so spürt man in der Alltagsrealität Deutschlands diese unterschwellige Unzufriedenheit: Das Gefühl, dass etwas besser sein könnte, es aber nicht ist. Die Hoffnung auf einen wacheren Blick, auf Verbesserungen und auf den Mut, auch mal die „Verpackung“ – sprich die Organisation und Abläufe – grundsätzlich neu zu denken, diese Überlegungen bleiben leider oft Wunschträume.
Lieber bleibt man beim Bewährten, das man ja kennt und irgendwie akzeptieren kann, auch wenn es eben ziemlich „krümelt“. Vielleicht ist es genau diese resignierte Haltung, die uns gefangen hält. Das Ausweichen vor echten Reformen, das Ignorieren kleiner und großer Probleme, die man früher „Kinderkrankheiten“ genannt hätte. Heute nennt man sie schlicht „Systemmarken“ und schaut zu, wie die Krümel sich in jedem Winkel sammeln – im Verkehr, im Gesundheitswesen, bei Arbeiten am Bau. Die Kaffeesatz(auf)leserei ist da schon fast angenehmer als die Realität. Immerhin weiß man beim Kaffeepulver zumindest, woran man ist.
Bleibt zu hoffen, dass eines Tages nicht nur die Kaffeeverpackung neu gedacht wird, sondern auch die Strukturen, auf die wir angewiesen sind. Bis dahin knirscht es weiter, krümelt es vor sich hin und wir tun, was wir eben können: Die Kaffeepackung vorsorglich über der Spüle öffnen und den Krümeln beim Fallen zusehen – ein morgendliches Sinnbild für Dinge, die sich nicht verändern wollen und im dunklen Abfluss enden – im Siphon, aber auch im Abfließen von Arbeitskräften und Serviceleistungen. Droht dabei das Wiederauftauchen von braunem Kaffeeprütt? Vorsorglich einen Riegel vorschieben!