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In den westlichen Gesellschaften verliert die Religion zunehmend an Bedeutung. Das ist keine Neuigkeit – wohl aber ein beunruhigender Trend. Denn mit dem Rückzug des Religiösen droht mehr als ein Kirchenaustritt: Es schwindet das moralische Fundament, auf dem unsere Demokratien ruhen.
Natürlich: Prozesse der Modernisierung wie Industrialisierung, Urbanisierung und wachsender Wohlstand haben unsere Lebenswelten grundlegend verändert. Doch tiefer greifen die kulturellen Folgen: Pluralisierung, Institutionenskepsis, Kritik an jeglicher Herrschaft – und ein beinahe dogmatischer Individualismus. Selbst in existenziellen Fragen reklamiert das moderne Ich Autonomie – und lehnt jede Form der Bevormundung ab. Das hinterlässt ein Vakuum.
Was bleibt, wenn das Verbindliche, das Transzendente verschwindet? Oft nur vage Formeln: „Ich bin spirituell, aber nicht religiös.“ Oder: „Es gibt da schon etwas Höheres.“ Die religiösen Sinnformen verflüssigen sich – und mit ihnen die ethische Substanz. Gebet, Kirchgang, Kirchenmitgliedschaft: erscheinen, mehr noch, sind überholt. Doch mit dem Rückzug der Praxis schwindet auch – das wird übersehen – das Ethos: Nächstenliebe, Demut, Hoffnung. Kurz: das moralische Rückgrat unserer freiheitlichen Ordnung.
Denn die Demokratie lebt nicht vom Mehrheitswillen allein. Sie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann – und die tief im Christentum verwurzelt sind. Der Gedanke der Menschenwürde, der unantastbaren Freiheit, der Verantwortung vor „Gott“ und den Menschen: Das sind keine säkularen Zufallsprodukte, sondern geistige Kinder einer jahrhundertelangen christlichen Kultur. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.
Man muss kein bekennender Kirchanhänger sein, um das zu erkennen. Aber eine christlich geprägte Grundhaltung ist notwendig, wenn Solidarität mehr sein soll als Rhetorik. Wo sie fehlt, wird die Gesellschaft härter, kälter – und letztlich gefährdeter. Wir sehen es überall in Deutschland, wo vielerorts eine Kultur der Selbstbehauptung und des Klagens dominiert. So der Dauer Erregung, des Schimpfens über die Mitmenschen und das Herziehen über Gott und die Welt.
Dabei liegt in einer auf das Christentum beruhenden Haltung ein Erkenntnisgewinn: das Wissen um die Gebrechlichkeit des Lebens – und eine Hoffnung, die sich mit dieser Ohnmacht nicht abfinden will. Wer glaubt, hat sich nicht ergeben – sondern erwartet. Und wer erwartet, bleibt wach, bleibt menschlich.
Die Moderne verdankt dem Christentum mehr, als sie heute wahrhaben will. Wer seine Wurzeln kappt, darf sich nicht wundern, wenn der Baum zu schwanken beginnt – Ersatzreligionen und Alternativideologien daraus dann Feuerholz machen.