Krisen und Zeitenwenden hat es immer gegeben. Die Vergangenheit wurde und wird schöngeredet, die eigene Gegenwart von den Leuten zu allen Zeiten unreflektiert als die schlimmste aller Zeiten angesehen. Und in die Zukunft wird mit ängstlichem Blick geschaut. Der Mensch bewegt sich auf der sich drehenden Erdkugel. Diese mag ihre Runden um die Sonne drehen, nicht schnell, nicht langsam, mit oder ohne menschliche Anteilnahme, aber stoisch.

8. November 63 vor Christus. Sternstunde der Rhetorik. Die ersten Reden Ciceros gegen Catilina. Ausnahmezustand im alten Rom. Der Politiker Lucius Catilina plant eine Verschwörung gegen den Staat.

Als Verteidiger der Republik tritt ihm Marcus Tullius Cicero entgegen, der gewählte Konsul des Jahres 63 vor Christus, der höchste Amtsträger des Staates. Was plant Catalina? Das ist nicht leicht zu entschlüsseln. Weil wir nur eine kritische Sicht auf Catilina haben. Nicht nur Cicero war ja ein Gegner Catalinas, auch der später schreibende Sallust, der uns das Geschehen überliefert hat.

Für Sallust steht fest, Lucius Catalina entstammte dem Adel, dieser habe dabei jedoch auch einen schlechten Charakter. Sein unersättlicher Geist wünsche ständig das Maßlose. Hatte ihn die gewaltige Gier befallen, die Macht im Staat an sich zu reißen?

Catalina will unbedingt Konsul werden. Mehrfach schon hat er sich beworben. Immer ist er gescheitert. Jetzt greift er zur Gewalt. Seine Anhänger fischen aus der Menge aller Unzufriedenen. Ein buntes Sammelbecken darunter, einstige Profiteure von der Diktatur Sullas 20 Jahre zuvor, die sich jetzt wieder an den Rand gedrängt fühlen. Ehrgeizige Adlige, die politisch nicht zum Zuge kommen. Bürger, die hoch verschuldet sind, also eine ganze Reihe von unzufriedenen Gruppen, die sich um Catilina scharten. Und die auch bereit sind, den Weg der Gewalt zu gehen, des Aufstandes.

Catalina setzte in Rom vieles gleichzeitig in Gang. Attentate auf die Konsuln, er bereitete Brandanschläge vor und besetzte strategische Plätze mit Bewaffneten, so berichtet Sallust. Für die Nacht zum 7. November planten sie die Ermordung des Konsuls Cicero. Ein Attentat auf den höchsten Amtsträger der Republik. Das ist ein Anschlag gegen den Staat. Cicero wird gewarnt, der Mordversuch scheitert.

Aber klar ist, die Lage ist brandgefährlich. Sofort ruft Cicero den Senat zusammen und hält die erste seiner berühmten Catalinischen Reden. Einen Tag später am 8. November folgt die zweite Rede vor der Volksversammlung:

„Wie lange noch Catilina willst du unsere Geduld missbrauchen? Bis wann soll deine Tollheit uns noch verhöhnen? Wie weit deine zügellose Dreistigkeit sich noch vermessen?“ Rom, das sich einst von der Alleinherrschaft der Könige befreit und seit fast 500 Jahren eine stolze Republik ist. „Jetzt greifst du schon offen das gesamte Staatswesen an.“

Die Zeiten waren sehr schwierig. Seit 20 Jahren zuvor, seit den Entwicklungen mit Sullas Diktaturversuch, hatte sich die Gesellschaft desintegriert und war auseinandergefallen. In einer derartigen Notlage des Staates, ist es großes Geschick, sich achtsam zu verhalten. Der Schutz der Verfassung musste durch die Verfassung gedeckt sein. Der Weg zwischen ängstliches Gewähren totalitärer Kräfte und dem Abgleiten in die eigene Diktatur war nicht nur damals schwer zu finden.

Catilina, der jetzt so dreist ja auch war, zu dieser Senatssitzung, in der Cicero die erste Rede hielt, auch noch zu kommen. Cicero ist es tatsächlich gelungen, sowohl im Senat wie auch in der Volksversammlung eine Front gegen diese Aufständischen bewirkt zu haben. Das ist seine große rhetorische Fähigkeit gewesen, was anderes war es ja eigentlich nicht, seine Fähigkeit alle mitzunehmen bei seinem Kampf gegen diese Verschwörer.

Doch gebannt war die Gefahr noch nicht. Cicero wollte als Politiker mit Beredsamkeit und Wissen verhindern, dass in einer Zeit der Dauerkrise mit Gewaltausbrüchen und Bürgerkriegen die Waffen das Wort und die Diskussion verdrängen. Cicero ist sicher kein Pazifist gewesen, aber ein Kämpfer mit Worten. Mehrere 100 Reden sind von ihm überliefert. Weit über 800 Briefe, die er an Freunde und Politiker schrieb.

Sein Hauptthema: gegen die Diktatur, gegen die Alleinherrschaft und für die Erhaltung der Republik und ihrer Institutionen. Doch auch Cicero, der Magier der Worte, Meister der Überzeugung und vielleicht beste Redner seiner Zeit, kann den Untergang der Republik nicht verhindern.

Die Römische Republik, die ja ein feinjustiertes Zusammenspiel verschiedener Institutionen darstellte, war völlig aus den Fugen geraten. Nicht wegen der Catalinischen Verschwörung, sondern weil Angst vorherrschte. Und letzten Endes bestimmten diese Ängste auch die folgenden Jahre.

Bedrohliche Wolken ziehen über der Alten Republik auf. Im Jahr 49 vor Christus bricht der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius aus, an dessen Ende Pompeius ermordet wird und Caesar sich zum Diktator auf Lebenszeit ernennt.

Mag der gegenwärtige Blick in die Zukunft auch ängstlich sein, er bleibt ungewiss und: offen.