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Wochenlang hat die „Stadtbild-Debatte“ die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt. Während einer Bürgerbefragung in der TV Sendung „ARD-Arena“ sagte Bundeskanzler Friedrich Merz, dass es ihm nicht um das „Aussehen“ – Die Wahrnehmung von viel fremd aussehenden Menschen – gegangen wäre, als er den Begriff „Stadtbild“ in den Ring geworfen habe. Mit dieser Aussage bedient Merz ein Tabu. Und die gesamte Debatte unterliegt diesem Tabu, der Tatsache der Wahrnehmung von viel fremd aussehenden Menschen.

Das „Aussehen“ oder die „Anschauung“ spricht in erster Linie und als Erstes, spontan die Gefühle an, nicht unseren Verstand. „Aussehen“ ist ein Sinneseindruck, dem meist ästhetische Geschmacksurteile folgen, aber keine Erkenntnisurteile. „Über Geschmack lässt sich streiten“, ist insofern nur die „halbe Wahrheit“, da sich über Geschmack eigentlich nur streiten lässt. Diese eindeutige Vielfalt ist ein Minenfeld für die Politik.

Man stelle sich vor, in der Nacht stünden auf einmal zwei oder mehr Monde am heimischen Nachthimmel. Oder einer unserer Nachbarplaneten, z.B. Saturn, benannt nach dem römischen Gott des Überflusses, würde mit seinen drei größten Monden Titan, Rhea und Lapetus fluchtartig seine angestammte Umlaufbahn verlassen und einen näheren Platz an der Sonne bevorzugen, diesen dann auch finden im Schatten Mutter Erde.

Wenn bereits ein großer glutroter Vollmond unser Blut in Wallung bringt, wie sähe die Erregung der Menschen bei solch einem Weltereignis aus? Die unabsehbaren Folgen des neuen „Sternbildes“ wären groß. Sowohl im Guten als auch im Schlechten. Nur Ignorieren und Ausblenden, das würde nicht gehen. Man müsste über das neuartige, das den Menschen erregende „Aussehen“ sprechen, diskutieren und disputieren, nur nicht tabuisieren, wie Merz es tut, wenn er das „Aussehen“ des „Stadtbilds“ zum Tabu erklärt. Denn ein „Stadtbild“ ist erst einmal (nur) ein Bild. Da schaut man hin, da schaut man drauf. Und man redet über das, was man da sieht, insbesondere, wenn sich ein gewohntes Bild stark verändert.

Das Weihnachtsfest steht vor der Tür. Als der „Stern von Bethlehem“ vor über zweitausend Jahren am Himmel auftauchte, machten sich drei Königsfiguren auf den Weg aus dem Morgenland in Richtung Abendland. Das veränderte die Welt – mehr, viel mehr als die Zeitenwende in unseren Tagen. Die drei, sicher sehr klugen Männer, müssen von der neuen Sternkonstellation so verwirrt gewesen sein, dass sie sich auf diese lange und mühsame Reise machten, um ein in ärmlichen Verhältnissen lebenden Säugling zu ehren – von tiefen Gefühlen übermannt, rationales Tun und Handeln hintenanstellend.

Mithilfe des „Sternenschweifs“, ein weiteres Ausschweifen: In der arte Mediathek die TV-Dokumentation: Hannah Arendt. Eine Jüdin im Pariser Exil. Unter anderem zu sehen ist die Erörterung des Arendt Biografen Thomas Meyer über einen Bericht Hannah Arendts aus dem Jahr 1950 mit dem Titel Besuch in Deutschland. Das Ende der Barbarei lag fünf Jahre zurück. Hannah Arendt hatte schon länger, nicht erst nach der unmittelbaren Nachkriegszeit 1950, ein distanziertes Verhältnis zu den Intellektuellen – dabei gehörte sie selbst diesem geistigen Milieu an.

Ein O-Ton aus der TV-Dokumentation: „Die Deutschen, auch die geistige Elite, gingen mit Tatsachen nach der Niederlage um, als handele es sich lediglich um Meinungen. Den Intellektuellen traute sie schon lange nicht mehr. Intellektuelle waren für Arendt Menschen, die nach der jeweiligen Situation, den objektiven Tatsachen, lediglich ihre subjektiven Erklärungen für das jeweilige und je unterschiedliche Handeln und dann je eigene Rechtfertigungen zu finden suchten, ohne bei den offensichtlichen(!) Tatsachen zu verbleiben.“

Mit anderen Worten: Sich nicht auf Tatsachen und Ansichten zu fokussieren, den Tatsachen nicht in die Augen schauen. Stattdessen werden Erklärungen und Meinungen im Elfenbeinturm unter sich, unter gleichen erörtert. Meinungen werden vertreten, Tatsachen nicht beschrieben.

Das Tabu, welches entsteht: Politiker schauen weg und nicht hin. Sie nehmen nicht wahr, reden nicht über das Aussehen, das Bild, welches auch sie sehen müssten. Was Politiker stattdessen „gut“ können: Sie erklären und vertreten Meinungen, geben Erklärungen ab, sind sehr meinungsfreundlich, mehr oder weniger menschenfreundlich, erklären viel bis alles und meinen so, Erkenntnisse (in ihrer „Hauptstadt-Blase“) gewinnen zu können. Aufgrund von Meinungen – Anschauungen hin, Anschauungen her – ,“gerne“ auch bevorzugt auf Basis von Umfrageergebnissen, wird Politik gemacht.

So entsteht eine Kultur, die Meinungskultur, an der sich ein jeder mit jeder Meinung demokratisch beteiligen kann, die Politik als Vorbild, die Politik als „Hau‘-doch-drauf“. Ein Potpourri vom Rand „A“ = Austausch der Bevölkerung bis zum Rand „Z“ = ziviles Zusammenleben in Vielfalt. Keinem gelingt es jedoch, einfach mal den Rand zu halten.

Um das Sternenbild, die Sternenmetapher erneut zu bemühen: Krippenvater Saturn, Herr der Ringe und der Familienzusammenführung, Oberhaupt einer Bedarfsgemeinschaft steht mit Titan, Rhea und dem kleinen Pascha Lapetus vor aller Augen vor uns. Aber unsere „Astronomen“ machen sich und uns kein Bild von der neuen Situation. Alles gut. Nun ja, es ist die Hochzeit der heftig getriggerten Gefühle. Hauptakteure und Entscheider sind statt der „Astronomen“ die „Astrologen“, die Interpreten der Planeten und Deuter fixer Sterne: Die Schützen, die Steinböcke, die Krebse, die Skorpione, aber auch die Waagen und die Jungfrauen, am Ende weitere Erd-, Wasser- und Luftnummern mit der potenziellen Fernrohr-Aussicht am Firmament. Finis

P.S.: Der Botenmeister hat in der vorweihnachtlichen Adventszeit, jener Zeit der Ankunft, in der Übersetzung des queeren Neusprechs, der Willkommenskultur, durch die ein oder andere Ausschweifung zu viel, eine ungewohnte und plötzliche (Kometenschweif)länge bekommen. Zum Ausgleich greift nun die Feiertagsregelung. Am 08. Januar 2026 – 2 Tage nach den „Sternsingern“ – erscheint die nächste Ausgabe.