Das Roots-, Folk-, Weltmusik Festival Rudolstadt. Einmal im Jahr wird Rudolstadt Musikhauptstadt

Rund 90.000 Menschen pilgern jedes Jahr am ersten Juli-Wochenende ins beschauliche Rudolstadt. Die thüringische Stadt mit ihren 24.000 Einwohnern verwandelt sich für vier Tage in eine klingende Weltmetropole. Anlass: das legendäre Festival für Roots, Folk und Weltmusik – 2025 in seiner 33. Ausgabe. Eine Zahl, die für manche eine Engelszahl, eine Meisterzahl ist. „Alles ist möglich“, verheißt sie – und tatsächlich: Wer Rudolstadt erlebt, glaubt daran.

„Willst Du dich jetzt etwa an das Programmheft halten?“

Von Donnerstagabend bis Sonntagabend treten 120 Bands und Solisten auf – auf 27 Spielstätten, die sich vom Heinepark in der Ebene bis zur Heidecksburg hoch über der Stadt erstrecken. Große Outdoor-Bühnen, intime Saalkonzerte, Begegnungsstätten, Straßenecken – Musik begegnet dem Flaneur überall. Und wer sich treiben lässt, wird reich belohnt. Denn sich strikt ans 230 Seiten starke Programmheft zu halten, bedeutet, unweigerlich Großartiges zu verpassen. Das Rudolstadt-Festival ist ein musikalisches Abenteuer, bei dem Planung gern durch Zufall ersetzt wird.

Wer bei „Weltmusik“ an muffige Kulturbeauftragte oder Bierzelt-Melodien denkt, irrt. Was in Rudolstadt erklingt, ist von einer Professionalität, die jedes Stadtfest alt aussehen lässt. Die Musikerinnen und Musiker kommen mit internationalen Preisen im Gepäck, nicht mit Setlisten von der Stange. Und wer doch einmal einen Notenständer auf der Bühne entdeckt, weiß: Der dient hier – bei über 30 Grad – eher als Halterung für Wasserflaschen.

Vom Thüringer Wald zur Weltmusik-Weltbühne

Während südlich der Stadt 300 Hektar Thüringer Wald in Flammen standen, ging in Rudolstadt alles seinen friedlichen, musikalischen Gang. Celtic Folk statt Kirchenchoral, Harfenklang statt Sirene. Pedair, eigentlich ein walisisches Frauenquartett mit Elfenstimme, verzauberte auf der Burgterrasse, zu dritt. Mojna – mit Hardangerfiedel, Bassklarinette und Gitarre – führten in imaginierte Klangräume zwischen nordischer Klarheit und weltmusikalischem Puls.

Auch Zwerge fangen bekanntlich klein an – nicht alle bleiben es

Hier bleibt niemand ungehört. Auch nicht der Straßenmusiker, der irgendwo zwischen Markt und Burgaufstieg spielt. Beto Aguia etwa, mit brasilianischen Rhythmen wie Forró, Bossa Nova und Samba, streute in seine Performance Rock und Jazz. Wer weiß – auch Ed Sheeran begann so.

M.A.L.I.  –  Mehr Als Leute Integration

Jedes Jahr widmet das Festival einem Land besondere Aufmerksamkeit. 2025 war es Mali – ein Land, das in westlicher Wahrnehmung oft als instabil erscheint. Militärputsche, Bürgerkriege, eine fragile Staatlichkeit. Doch Mali ist zugleich ein musikalischer Gigant. In Rudolstadt wurde spürbar: Musik ist Malis gemeinsame Sprache. M.A.L.I. war nicht bloß eine Überschrift, sondern ein gelebtes Versprechen.

Auf dem Weg zur Burg: 14 Mal zum Gipfel

Wer sich von Bühne zu Bühne bewegt, steigt im Laufe des Festivals bis zu 14-mal zur Heidecksburg hinauf. Eine musikalische Gipfelbesteigung, vergleichbar mit allen 14 Achttausendern – in vier Tagen! Am Gipfel erwartet die Wandernden kein Sherpa, sondern ein Klangrausch.

Das Jugendfolkorchester

Thüringer Symphoniker im Soul-Fieber

Alljährlich verlassen die Thüringer Symphoniker ihre klassische Komfortzone. Diesmal musizierten sie mit der amerikanischen Soul-Diva Ledisi – als Bigband. Was kühn klang, wurde ein Fest. Oliver Weders romantisch gestimmtes Orchester zeigte sich spielfreudig, Ledisi brillierte. Ein Crossover, das nicht kalkuliert, sondern überzeugte.

Samstagnacht: Ein Gigant am Klavier

Der Moment des Festivals war ein stiller. Abdullah Ibrahim, südafrikanischer Jazzpianist, betrat mit 90 Jahren die Bühne der Heidecksburg. Gebrechlich, fast ätherisch, nahm er Platz. Dann setzte er zu einer Meditation an, die wie eine Lebensreise anmutete. Mal stockend, mal fließend, stets voller Würde. Er zeigte am Ende seine leeren Hände. Dann spielte er weiter – ein hymnisches Stück, sang brüchig von einem freien Afrika. Als er von der Bühne geführt wurde, sang das Publikum leise mit. In der Luft lag mehr als Musik: Es war ein kollektiver Moment der Rührung und Einkehr.

Die lebende Jazzlegende Abdullah Ibrahim am späten Abend des 5. Julis 2025 auf der Heidecksburg Große Bühne

Resümee: Ein Festival der Menschlichkeit

90.000 Menschen – und kein Gedränge, kein Missklang. Wer fragt „Ist Ihr Schoß noch frei?“, bekommt kein böses Wort, sondern ein Lächeln. Trotz Leibesnähe bleibt das Festival freundlich, gelassen, empathisch. Rudolstadt ist nicht nur ein Ort der Musik. Es ist ein Ort, an dem der Mensch dem Menschen begegnet – auf Augenhöhe, im Takt der Welt.
P.S.: 2026 ist der Länderschwerpunkt Österreich. Bereits sicher, der Schmäh wird dann in Wien bleiben.

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