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Früher, so erzählt man sich, war das Studium eine Mischung aus geistiger Erleuchtung und Dauerparty. Man kam mit einem Bierkrug zur Vorlesung, tanzte nachts in verrauchten Küchen und schrieb tagsüber Hausarbeiten, die so brillant waren, dass sie nie jemand las. Das war der Mythos. Die Realität für unseren Protagonisten: ein graues Apartment mit Blick auf eine Wand, die schon bessere Tapeten gesehen hat, und der Verdacht, dass selbst der Kühlschrank mehr soziale Kontakte pflegt als er.

Er hatte sich gefreut wie ein Kind auf Weihnachten – nur dass unter seinem Baum später nichts lag, außer einem Stundenplan und der unbequemen Erkenntnis, dass „die geilste Zeit im Leben“ offenbar vor allem für andere gilt. In den Vorlesungen saß er stumm neben Menschen, die in Grüppchen lachten wie Komparsen in einer Sitcom, während er überlegte, ob „Hast du mal ’nen Stift?“ nicht zu analog für die Tablet-Generation klingt.

Einsamkeit ist tückisch, weil sie nicht immer aussieht wie im Werbespot für depressive Haustiere. Man erwartet gebeugte Schultern, Schweigen, leere Räume. Stattdessen lächelt er, scherzt beiläufig, um dann nach Hause zu gehen und dort das große Schweigen zu pflegen. Unsichtbarsein ist kein Talent, es ist ein Zustand, den man nicht üben will – und doch zur Perfektion bringt.

Psychologen sprechen von einer Vermeidungsspirale: Wer einmal das Gefühl hat, nicht dazuzugehören, sieht überall Bestätigungen. Jedes Lachen im Flur ist dann ein Lachen über einen. Jede Einladung, die man nicht bekommt, der Beweis, dass man „halt nicht passt“. Und so dreht sich das Gedankenkarussell weiter, Runde für Runde, bis man schon beim Einsteigen den Drehwurm hat.

„Allein“ und „einsam“ sind dabei wie Cousins, die man ständig verwechselt. Alleinsein ist messbar – wie der Abstand zwischen dir und dem nächsten Menschen in der Mensa. Einsamkeit ist eine innere Wetterlage: Es kann sonnig draußen sein, aber innen regnet es. Man kann in einer Menschenmenge stehen und sich trotzdem fühlen wie Robinson Crusoe, nur ohne Freitag. Und ohne Wochenende.

Chronische Einsamkeit, so warnen Experten, ist nicht nur schlecht fürs Herz, sondern für alles andere gleich mit. Mehr Depressionen, mehr Demenz, mehr Herzinfarkte. Körperlich ist sie so schädlich wie fünfzehn Zigaretten am Tag – nur dass niemand sich dafür cool fühlt.

Natürlich könnte man jetzt sagen: „Geh doch raus, lern‘ Leute kennen!“ Das ist ungefähr so hilfreich wie der Ratschlag an einen Ertrinkenden, er solle „einfach schwimmen“. Wer schon das Gefühl hat, der seltsame Fremde im eigenen Umfeld zu sein, dem fehlt oft die Kraft, noch einen Versuch zu starten.

Und so lebt er weiter in diesem merkwürdigen Schwebezustand. Die Welt geht ihrem fröhlichen Treiben nach, während er das Gefühl hat, an einer Glasscheibe zu kleben – nah dran, aber nicht drin. Vielleicht ist das die heimliche Grausamkeit der Einsamkeit: Sie lässt dich alles sehen, was dir fehlt.

Das Gefährliche daran ist nicht nur das stille Leiden, sondern die Gewöhnung. Wer lange genug unsichtbar war, fängt an zu glauben, dass es der natürliche Zustand ist. Und dann, ja dann wird aus einer Phase ein Dauerzustand.

Vielleicht braucht es keine Riesenlösung, sondern winzige Schritte – ein Gespräch, einen Blickkontakt, eine Einladung, die man annimmt, auch wenn der innere Schweinehund schon im Schlafanzug ist. Humor kann dabei helfen, selbst wenn er schmerzhaft ist. Denn am Ende sind es oft die Clowns, die wissen, wie wichtig das Publikum ist – und wie leer es wird, wenn niemand im Saal sitzt.