Kein Vorschlag aus dem Land Utopia
Illustration: © Agneta Becker

Kein Vorschlag aus dem Land Utopia

Die Aktualität der zugrunde liegenden Idee Bedingungsloses Grundeinkommen ist Teil der Globalisierung. Die Schweiz, Brasilien, Indien Namibia, Kenia, Finnland, Mongolei, ... . So sieht die Liste der Länder aus, deren Regierungen sich eindringlich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt haben, regional begrenzt oder auch landesweit. Gemeint ist eine staatliche Unterstützung, entkoppelt von Erwerbsarbeit und ohne Auflagen, sowie sanktionsfrei.

Ein tiefer Griff in die Vergangenheit: Der englische Staatsphilosoph am Hofe Heinrich VIII Thomas Morus hatte bereits 1516 in seinem Roman Utopia für ein voraussetzungsfreies Einkommen plädiert, interessanterweise mit dem Argument, Diebstahl zu verhindern. Ein wenig den Argumentationsstrang verändernd, jedoch dem gleichen Grund folgend, könnte man heute übrigens mit ein wenig Fantasie die gleiche Notwendigkeit vorweisen. Und hier ein kleiner Schritt voraus: Benoît Hamon, möglicher Präsidentschaftskandidat 2017 der französischen Sozialisten fordert eindringlich die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Ob in der Vergangenheit, der Gegenwart oder in der Zukunft; ob auf dem europäischen Kontinent oder am Rande der Welt, das bedingungslose Grundeinkommen hat politische und gesellschaftliche Relevanz gewonnen. Die jeweiligen spezifischen Voraussetzungen, die verschiedenen Einflüsse, die Motive der Entscheidungsträger mögen differenzieren. Im Folgenden werden Einzelbeispiele vorgestellt.

Namibia und Kenia In einem Dorf in Namibia begann Anfang 2008 ein Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Die 1000 Einwohner bekamen Geld zum Lebensunterhalt ganz ohne Gegenleistung. Finanziert wurde das Projekt von Nichtregierungsorganisationen, u.a. von „Brot für die Welt“. Bis zum Ende des Programms im April 2015 wurden auch private Spendengelder aus Deutschland und Italien hinzugezogen. Weit gewichtiger als anderswo, steht in Afrika die unmittelbare Armutsbekämpfung im Blickpunkt. Ziel war es, sicherzustellen, dass nicht Passivität und Müßiggang die Folgen sind, sondern dass die Zuwendungen vermehrt zu Investitionen in die Zukunft genutzt werden. Tatsächlich zeigte sich, dass mehr Kinder regelmäßiger die Schule besuchten und dass kostenpflichtige Gesundheitsangebote häufiger von den Teilnehmern nachgefragt wurden. Die Zahl der unterernährten Kinder sank, durch wirtschaftliche Selbständigkeiten wuchs das Wirtschaftswachstum um 12 Prozent. Der namibische Staat beobachtete das Experiment wohlwollend, sprach sich aber gegen ein Grundeinkommen für das ganze Land aus. Für den jetzigen Präsidenten Hage Geingob, vormals Wirtschaftsminister, steht das Thema Grundeinkommen nicht als vorrangiges Thema auf seiner politischen Agenda, angeblich wegen den Kosten. Allerdings scheint er bemüht zu sein, die Armut im Land ernsthaft zu bekämpfen. So gibt es Überlegungen aus dem neu geschaffenen Ministerium für Armutsbekämpfung, armen und kinderreichen Familien ein regelmäßiges Einkommen auszuzahlen, gebunden an Schul- und Impfpflicht. Vielleicht ein erster Schritt das vormalige Langzeitprojekt nun mit staatlicher Unterstützung weiterzuentwickeln. Es klingt zynisch, aber Afrika scheint ein gutes Experimentfeld abzugeben für Fragen, die mit dem Komplex bedingungsloses Grundeinkommen zusammenhängen. In Kenia sollen 6000 Menschen für mindestens zehn Jahre jetzt so ein Einkommen erhalten, in einer Höhe um zu Überleben. Deutlich niedrigere Lebensunterhaltungskosten in Afrika ermöglichen einen weitaus längeren Zeitraum für ein solches Projekt. Was hier mit rund 30 Millionen Euro als Investition vorweg zu finanzieren ist, entspräche in Europa schnell einer Milliardensumme als Investitionskosten. Das Vorhaben nutzt die neuen Medien: Finanztransfers erfolgen über Mobiltelefone und eingebunden sind Firmen aus dem Silicon Valley. Ein Ziel auch hier: Die Menschen gehen verantwortungsvoll mit der Zuwendung um, was dann auch für ausgezahltes Geld statt für Sachleistungen spricht.

Brasilien Brasilien hat als erster Staat 2004 das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen in seine Verfassung aufgenommen. Ein Grundeinkommen ist hier also Bürgerrecht. Wer mindestens fünf Jahre im Land lebt, soll die Grundbedürfnisse Ernährung, Gesundheit und Erziehung mit der staatlichen Leistung abdecken können, unabhängig davon, ob er Vermögen besitzt oder arbeitet. Nur eingeführt ist der Verfassungsanspruch in der Praxis bislang nicht. Stattdessen gibt es ein staatliches Programm, welches sich frei übersetzt „Familientasche“ nennt. Hierbei handelt es sich lediglich um ein Sozialprogramm mit Vorbedingungen: Ein fester Wohnsitz ist Bedingung, Ernährungs-, Ausbildungs- und Impfberatung ebenfalls. Das Programm erreicht gut ein Viertel der Brasilianer, gekoppelt am Pro-Kopf-Familieneinkommen. Hürden in der Verwaltungspraxis reduzieren allerdings die Zahl der tatsächlichen Empfänger deutlich unter diesem Bevölkerungsviertel. In Brasilien ist das bedingungslose Grundeinkommen einerseits Nischenthema andererseits in der Verfassung als Staatsziel ausdrücklich benannt. Dieser Widerspruch fördert Privatinitiativen, ähnlich denen in Afrika. Die Nichtregierungsorganisation „ReCivitas“ hat so ein Projekt begonnen. Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens in Brasilien hoffen, dass die staatlichen Sozialprogramme erste Schritte sind, um der Verfassung Verfassungswirklichkeit folgen zu lassen. Skeptiker befürchten, konservativere Regierungen als die aus der Lula da Silva/Dilma Rouseff Ära könnten das niedergeschriebene Verfassungsziel wieder aus dem Blick verlieren.

Finnland Als erstes Land der Welt wird Finnland im nächsten Jahr auf nationaler Ebene das bedingungslose Grundeinkommen einführen. Schrittweise, zunächst für Arbeitslose, später für Kinder und Auszubildende, schließlich für Rentner, Alleinerziehende und andere Bedürftige. Das fünfeinhalb Millionen Einwohner Land will in einem ersten Schritt 2.000 Menschen 560 Euro ohne Gegenleistung zur Verfügung stellen. Die 2.000 arbeitslosen Menschen, die ohnehin auf eine staatliche Unterstützung angewiesen sind, können dann zum Grundeinkommen weiterhin Zusatzleistungen wie z.B. Wohngeld beziehen. Und da jeder hinzuverdiente Euro eines Teilzeit- oder Niedriglohnjobs nicht mit dem Grundeinkommen verrechnet wird, will der Staat damit auch herausfinden, ob Nichtstun für die Leute attraktiver ist als Arbeit und ob, wenn die Existenz abgesichert ist, alternative Arbeitsmodelle, die nicht am Erwerb gebunden sind, eine Zukunft haben. Denn letztendlich geht es der Mitte-Rechts-Regierung in Finnland um die Zukunftsfragen der Arbeit. Die neue Arbeitswelt wird nicht nur Jobs der geringqualifizierten Arbeiterschaft überflüssig machen, die Zukunft wird auch die Jobs für Mittel- und Hochqualifizierte gefährden, Stichwort Digitalisierung der Arbeitswelt. Eines der größten Probleme im Zusammenhang mit dem bedingungslosen Grundeinkommens ist die Frage der Finanzierbarkeit. „Wir beginnen mit dem ersten Schritt. Und 560 Euro ist Geld, welches man durch Sozialhilfe und andere Leistungen jetzt schon bekommt“, so Olli Rehn, der Wirtschaftsminister.> Das Modell soll wie erwähnt mit den Jahren auf andere Personengruppen ausgeweitet werden. Es wird nicht bestritten, dass es auch um sozialen Ausgleich geht. Ein finnisches Grundeinkommen für Spitzenverdiener ist nicht geplant. Da diese Ideen von einer Mitte-Rechts- Regierung kommt, ist zu erwarten, dass die Ideen rund um das voraussetzungslose Grundeinkommen mögliche Regierungswechsel in den nächsten Jahren überdauern.

Fazit Wenige Beispiele, die verdeutlichen wie weltweit über die Bedeutung und den Begriff der Arbeit neu nachgedacht wird. Dass Arbeit in Zukunft anders organisiert wird, dass sie eine andere Beziehung als Mittel zum Lebenserhalt erfahren wird, dass das eine (Erwerbsarbeit) das andere (Überleben) nicht mehr zwangsläufig bedingt, dürfte klarer und einsichtiger wahrgenommen werden. Und das in einer enger zusammenwachsenden Welt rund um den Globus.

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