„Solange man selbst redet, erfährt man nichts“, schrieb die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach vor über hundert Jahren.
Zuhören. Das Positive: Die meisten Menschen sind sich ziemlich sicher, dass sie gut zuhören können. In manchen Erhebungen tendieren die Zahlen zu über 90 Prozent.
Die schlechte Nachricht: Es handelt sich bei dieser Einschätzung höchstwahrscheinlich um einen kollektiven Selbstbetrug. Im Durchschnitt können Erwachsene direkt nach einem Gespräch nur etwa 50 Prozent der Inhalte wiedergeben, die sie gehört haben müssten.
Zuhören ist ein elementarer Teil der menschlichen Fähigkeit, miteinander eine emotionale Verbindung einzugehen. Menschen, die gehört werden, fühlen sich gesehen. Ihre psychologischen Grundbedürfnisse Anerkennung und Wertschätzung werden so gewürdigt.
Die Würde des einzelnen ist eben auch ein Menschenrecht.
Je näher wir uns jemandem fühlen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihm aufmerksam zuhören. Closeness connection bias nennt man diese Wahrnehmungsverzerrung in der Verhaltensforschung. Nachgewiesen wurde sie in verschiedenen Versuchen, bei denen Testpersonen zunächst mit nahestehenden Personen und dann mit Fremden zusammengebracht wurden. Ergebnis: Diejenigen, zu denen die Versuchspersonen eine enge Beziehung hatten, wurden öfters nicht besser als Fremde verstanden, sondern sogar schlechter.
Kommunikationstrainer beschreiben die innere Haltung, die gutes Zuhören ausmacht, als die Fähigkeit, das eigene Ich für die Zeit einer zwischenmenschlichen Begegnung in eine weniger zentrale Position versetzen zu können. Mit dem Ziel, sich auf die gegenüberstehende Person mit Empathie und einer aufmerksamen Haltung einzulassen. Aber wer nicht die Fähigkeit aufbringt, all die eigenen Gedanken, die einem während des Zuhörens durch den Kopf schießen können, hintenanzustellen, denkt unweigerlich weiterhin wieder nur an seine eigene Agenda. Doch man kann es üben, im Film des anderen zu bleiben und nicht dauernd in den eigenen umzuschalten. Etwa, indem man sich vornimmt, sich dem anderen bewusst zuzuwenden, nicht zu unterbrechen und auch Pausen im Gespräch auszuhalten.
Für die allermeisten Menschen ist es unmöglich, Dinge, die sie wahrnehmen, nicht zu bewerten. Man bewertet Personen, Gefühle, Situationen, Verhaltensweisen. Damit offenbart sich auch gleich das Problem für die aufmerksamen Zuhörer: Beim Bewerten geht es aller meistens mehr um den, der bewertet, als um den, der bewertet wird. Und statt einer Aussage erst einmal so stehenzulassen, wie sie geäußert wird, wirft der Zuhörens unwillige Mensch mit einigen dieser typischen Sätze unterbrechend ein: Ich an Deiner Stelle würde. Das ist richtig/falsch. Das finde ich gut/schlecht. Gutes Zuhören ist ein Zeuge und nicht ein Richter oder Lehrer. Es gilt die Fähigkeit, zu beobachten, statt zu bewerten, als wichtigster Schritt, um achtsamer miteinander umzugehen. Und Bewertungen, die als Hilfsangebote verpackt werden, nennt man Ratschläge. Auch sie sind beim aufmerksamen Zuhören eher hinderlich. „Ratschläge sind auch Schläge“ lautet ein Sprichwort.
Zudem gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Fragen und Sympathie. Personen, die mehr Fragen stellen, insbesondere Anschlussfragen, werden von ihren Gesprächspartnern eher gemocht. Fragen fungieren dabei als zwischenmenschliches Konstrukt, das Verständnis, Bestätigung und Fürsorge ausdrückt. Nur, Fragen, die lediglich dazu dienen, von den anderen Stichwörtern zu bekommen, um wiederum ausschließlich von sich zu erzählen, sprengen natürlich jeden vernünftigen Dialog und führen zu einem einseitigen Monolog.
Die Fähigkeit des empathischen Zuhörens ist eine soziale Tugend, die man auf ganze Gespräche oder einzelne Redeanteile innerhalb einer zwischenmenschlichen Unterhaltung anwenden kann – oder eben nicht. Wer lieber von sich redet, seinen Gefühlshaushalt unbedingt ohne Austausch mit dem Gegenüber zum Ausdruck bringen will, jemand der nicht neugierig ist, andere Erfahrungswerte geringschätzt, sich selbst genügt, sollte seine Lebensführung dann ruhig danach ausrichten. Nur richtig, richtig gut zuhören kann man so nicht.