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Niall Ferguson ist ein britisch-US-amerikanischer Historiker. Zuletzt erschien auf deutsch sein Buch Doom-Die großen Katastrophen der Vergangenheit und einige Lehren für die Zukunft.

Ende 2021 hat er vorausgesagt, dass Russland in die Ukraine einmarschieren würde. Damit war er einer der wenigen Menschen, die das vorhersahen. Vor einem Jahr hat er gesagt, dass der Nahe Osten als Nächstes explodieren werde. Wieder lag er richtig. Selbst, wenn solche Vorhersagen in Zukunft zur Realitätsnorm werden sollten, sagt das noch nicht viel über die Fähigkeiten aus, die Politologen und Historiker, besitzen. Trotzdem macht es neugierig, was Niall Ferguson für das Jahr 2024 voraussagt.

Hier einige seiner Prognosen, meinem Gedächtnis entnommen, basierend auf ein Interview mit ihm.

Am wahrscheinlichsten sieht er Taiwan als nächsten Schauplatz einer großen Krise. Da die Welt jedes Jahr mit einer Vielzahl potenzieller Katastrophen konfrontiert sei, falle es jedoch schwer, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen. Gerade würde viel Zeit darauf verwandt, sich über klimabedingte Katastrophen Sorgen zu machen, weniger über geologische. Aber große Erdbeben und Vulkanausbrüche würden tendenziell und sofort mehr Todesopfer als extreme Wetterereignisse fordern. Es wäre klug, sich auf so ein großes geologisches Ereignis vorzubereiten, sei es in Kalifornien, in Indonesien oder Japan. Darüber würden die Leute nie genug nachdenken, bis es passiert.

Die andere Sache, die in diesem Jahr passieren könnte, ist die Erkenntnis, dass die Versprechen großer Sprachmodelle, künstliche Intelligenz zu schaffen, falsch sind und dass ein großer Teil dessen, was derzeit im Namen der KI getan wird, überhaupt keine Intelligenz ist. Viele Menschen hätten viel Geld in KI gesteckt. Es sei ein bisschen wie bei den Kryptowährungen. Damals wurde uns gesagt, dass Krypto, Blockchain und Web 3.0 die Welt verändern würden. Das ist nicht geschehen. Dem Hype um die KI wird es genauso ergehen, zumindest kurz- und mittelfristig.

Der wesentliche Fokus der Wahrnehmung des Jahres 2024 bleibt jedoch, dass man sich in einem zweiten kalten Krieg befindet. Wenn der Westen in diesem Konflikt bestehen will, müssten die Menschen wissen, wie eine Niederlage aussieht. Die Leute, ob in den USA oder in Europa, sind sehr selbstgefällig, was die Freiheit angehe. Man kann auch von Dekadenz sprechen. Sie scheinen sich nicht groß dafür zu interessieren. Das liegt daran, dass sie sich nicht wirklich vorstellen können, wie es wäre, die Freiheit nicht zu haben. Ferguson würde es begrüßen, wenn wir besser erklären könnten, wie eine von der Kommunistischen Partei Chinas dominierte Welt aussähe. Wie es wäre, wenn alle unsere Anrufe und E-Mails und jede Transaktion unter der Überwachung eines höchst ideologischen Regimes stünden.

Seine schwer zu akzeptierende These, dass es im Kontext der Macht einige wehtuende Wahrheiten gäbe. „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“ sei eine davon. Das sei einfach klassische Geschichtserfahrung. Wenn man einen illiberalen Aggressor nicht bei seinem ersten Akt kontrolliere, werde es einen zweiten und einen dritten geben. Und in jeder Phase wird es schwieriger, Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und Abschreckung wirksam zu machen.

Und was schon in den siebziger Jahren galt, gilt auch heute. Wir brauchen parallel dazu eine Strategie der Entspannung. Das heißt, wir tun nicht so, als würden China und Russland zu netten Kerlen werden. Wir erkennen sie als die Gegner an, die sie sind. Und wir sind uns bewusst, dass ihre Absichten fast immer bösartig sind. Aber wir versuchen, sie auf eine Weise einzubinden, die uns Zeit verschafft, und diese Zeit brauchen wir am meisten. Es wird mindestens zehn Jahre dauern, bis Europa sich glaubwürdiger verteidigen kann. Wir brauchen Zeit.

Freiheit muss erkämpft werden und dass es, wenn man dafür kämpft, keinen freien, geradlinigen und blitzsauberen Weg gibt, Krieg sei, ja ist die Hölle. Das ist eine sehr wichtige Lektion, die die nächste Generation verstehen müsse. Der Kern unserer heutigen Freiheit ist die Tatsache, dass viele junge Männer nicht zurückkamen, als sie vor Jahrzehnten in den Krieg zogen. Soweit der Historiker Niall Ferguson.

Ich lebe, weil mein Großvater im 2. Weltkrieg gestorben ist. Wäre er zu seiner Familie zurückgekehrt, es hätte mich nie gegeben. Sein gewalt-unnatürliches Sterben hat erst mein bisher friedvoll-natürliches Leben ermöglicht.

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