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Der Filmemacher Werner Herzog hat den Begriff ekstatische Wahrheit geprägt: „Ich, Herzog Werner, geboren 1942, sage, dass sich Wahrheit, eine bestimmte, tiefere Schicht von Wahrheit, nur erreichen lässt durch Stilisierung und Inszenierung und Erfindung. Ich nenne es die ekstatische Wahrheit.“

Ist das unreflektiert und starker Tobak in Zeiten wo Fake News einen verheerenden Einfluss auf das politische Geschehen genommen haben? 

„Die wahrhaftigste Dichtung ist die, die am meisten vortäuscht.“ Das sagte bereits William Shakespeare. Und der französische Schriftsteller André Gide meinte, „Ich verändere Fakten auf solche Weise, dass sie der Wahrheit mehr ähneln als der Realität.“

Der Unterschied ist sehr simpel. Die Kunst darf alles, ist regellos. Politik muss sich hingegen an Regeln halten, wie auch das gesamte Nichtkünstliche.

In seinen einerseits fantastischen, andererseits phantastischen Lebenserinnerungen Jeder für sich und Gott gegen alle, wird das von Herzog, Werner näher erklärt; einerseits: „Ich bin immer davon fasziniert, wie andere Menschen Wahrheit ,wahr-nehmen‘.“, andererseits, indem er Beispiele nennt.

„Das einfachste Beispiel ist die Statue der Pietà von Michelangelo in St. Peter in Rom. Das Gesicht von Jesus, vom Kreuz abgenommen, ist das Gesicht eines dreiunddreißigjährigen Mannes, aber das Gesicht seiner Mutter ist das Gesicht einer Siebzehnjährigen. Wollte Michelangelo uns belügen? Hatte er betrügerische Absichten? Wollte er Fake News in die Welt setzen? Er handelte als Künstler ganz selbstverständlich, um uns die tiefere Wahrheit der beiden Personen zu zeigen. Was Wahrheit ist, wissen wir ohnedies alle nicht, weder die Philosophen noch der Papst in Rom und noch nicht einmal die Mathematiker. Ich sehe Wahrheit nie als Fixstern weit am Horizont, sondern immer als Aktivität, eine Suche, den Versuch einer Annäherung.“

Ein von ihm, Herzog, Werner erlebtes Beispiel - sehr eindrucksvoll:

„Nachdem ich in Japan gedreht hatte, interessierte sich auch das japanische Fernsehen für das Phänomen, dass man bei einer Agentur, die inzwischen über zweitausend Akteure vertritt, etwa ein fehlendes Familienmitglied mieten kann oder einen Freund für einen Nachmittag. Der Gründer der Agentur, Yuichi Ishii, spielte in meinem Film die Hauptrolle. Er wird von der Mutter eines elfjährigen Mädchens angeheuert, um so zu tun, als sei er der geschiedene Vater des Mädchens, das sich nach Kontakt zu ihm sehnt. Weil die Eltern auseinandergingen, als die Tochter zwei Jahre alt war, weiß sie nicht, wie er aussieht. Im Übrigen ist auch das Mädchen in meinem Film nicht die wirkliche Tochter, sondern eine wohlinstruierte Schauspielerin.

Yuichi Ishii wurde vom Sender NHK zu seinem Unternehmen interviewt und dann gebeten, einen Kunden zu vermitteln, der die Agentur bereits in Anspruch genommen hatte. NHK interviewte dann einen älteren Mann, der sich für einen sehr einsamen Tag einen „Freund“ gemietet hatte. Doch kam es gleich nach der Sendung zu zahllosen Hinweisen im Internet, der „Kunde“ sei gar kein Kunde gewesen, sondern Ishii habe dem Sender einen Schwindler vermittelt, einen Hochstapler aus seiner eigenen Agentur, der nur so getan habe als sei er ein einsamer Mann. Der Sender entschuldigte sich öffentlich bei seinen Zuschauern, dass man nicht genau genug recherchiert habe. In Japan derart das Gesicht zu verlieren, ist die schlimmste aller Peinlichkeiten. So weit so gut.

Aber jetzt erst wurde es richtig interessant. Ich habe das Folgende nur aus zweiter Hand. Yuichi Ishii verteidigte sich mit dem Argument, er habe mit Vorbedacht einen Darsteller aus seiner Agentur geschickt, weil ein wirklicher Kunde, ein wirklicher alter Mann in der Tiefe seiner Einsamkeit, höchstens die halbe Wahrheit gesagt hätte. Ein wirklicher Kunde hätte, um sein Gesicht zu wahren und um nicht zu tiefen Einblick in sein Innerstes zu geben, vermutlich alles beschönigt, hätte wahrscheinlich zumindest teilweise gelogen. Aber der von Yuichi Ishii vermittelte „Schwindler“, der „Betrüger“, der die Rolle des „Freundes“ eines Einsamen schon Hunderte Male gespielt hatte, wusste genau, wovon er redete, was in den Einsamen vor sich ging. Nur vom Schwindler sei die wirkliche Wahrheit zu erfahren gewesen. Die gibt es ohnedies nicht, und das nenne ich ekstatische Wahrheit.

„Ich bin immer davon fasziniert, wie andere Menschen Wahrheit, wahr-nehmen‘.“, so das Werner Herzog Zitat, siehe oben.

Es gibt Leute, die nur das hören, was sie hören wollen. Bis zu dem realen Phänomen, rein gar nichts vom Gesagten gehört zu haben, da es nicht ins eigene Bewusstseinsschema dringt, das Gerede des anderen sich nicht in einem Austausch einfügt. Für Ermöglichung geringster Wahrnehmung, (ver)spricht Konterpart dann auch Unmögliches, Wahrheitsgrenzen überschreitend. Willkommen bei den Sch’tis.

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